Sonntag, 7. Januar 2018

Riso, Oro e Zafferano - eine Hommage an Gualtiero Marchesi


Ende des vergangenen Jahres ist einer der bedeutendsten Küchenchefs Italiens, Gualtiero Marchesi, verstorben. Ein wenig verwundert habe ich feststellen müssen, dass man im deutschsprachigen Raum kaum Notiz davon nahm.
Marchesi, geboren 1930 in Mailand, gilt als der große Erneuerer der italienischen Küche und war zudem einer der bekanntesten Köche auch außerhalb Italiens. Sein Handwerk lernte er nicht nur vor Ort - er ist in dem elterlichen Restaurant aufgewachsen -, sondern perfektionierte später sein Können auch auf Schulen in der Schweiz und in Paris.
1977 eröffnete Marchesi sein erstes Restaurant in Mailand, und nur ein Jahr später erhielt dieses seinen ersten Michelin-Stern. Als erstes Restaurant in Italien wurde sein Restaurant1986 mit einem dritten Stern geehrt; seit 1997 war es mit zwei Sternen ausgezeichnet.

Zum Guide Michelin, der die Sterne vergibt, hatte Marchesi später ein etwas zwiespältiges Verhältnis, was dann auch mit einem Eklat endete: 2008 gibt er symbolisch seine Sterne zurück mit der Begründung, dass der französische Restaurantführer unverhältnismäßig oft französische Restaurants mit drei Sterne auszeichne. Aber nicht nur das: er (Marchesi) bevorzuge Kommentare zum Restaurant und Begründungen, nicht einfach nur Noten. 2009 verschwindet sein Restaurant aus dem Führer, es bleibt nur ein unkommentierter Hinweis auf Restaurant und Hotel.

Seine berühmteste Kreation, sozusagen sein "Signature Dish", wird wohl für alle Zeiten dieser Risotto bleiben, den er schlicht Riso, Oro e Zafferano nannte. Ein Fotograf, so berichtet Marchesi, hatte ihn gebeten, etwas "Gelbes" zu kreieren. Dabei legte er ihm ein paar Blätter Blattgold auf den Tisch.
Als großer Liebhaber der Künste war der ästhetische Aspekt eines Gerichts für Marchesi von großer Bedeutung. Reine Schönheit beinhalte das wirklich Gute; eine klare Aussage gegenüber jenen, deren Kreationen er übertrieben fand. Er halte es mit Henri de Toulouse-Lautrec, der in der Schlichtheit  und Zusammenfassung einzelner, einfacher Elemente die wahre Raffinesse sah. Überliefertes und Traditionen aufzufrischen, dabei ein von der Natur gegebenes Gleichgewicht zu halten, das bedeute für ihn Harmonie auf dem Teller. ¹




Es hat mich gereizt, Marchesis berühmtes Risotto-Gericht ihm zu Ehren nachzukochen; basierend auf einem klassischen Risotto alla milanese.
Jede Zubereitung eines wirklich guten Risotto beginnt mit dem Kochen einer kräftigen Fleischbrühe; Vegetarier bereiten an dieser Stelle eine Gemüsebrühe zu. Allein durch die Bouillon - und auch ein wenig durch den zum Schluss beigefügten Parmesan - bezieht ein Risotto seine Würze; das Abschmecken mit Salz sollte überflüssig werden.
Für die Bouillon habe ich Beinscheiben genommen, die ihrerseits eine andere wichtige Zutat für den Risotto alla milanese enthalten: das Mark. Dieses kratze ich vor dem Kochen der Suppe heraus und bewahre es bis zu seiner Verwendung im Kühlschrank auf. Anstelle von Mark verwendete man in frühen Rezepten auch eine Art fette Wurst (Cervellato) oder das Fett vom Bratenstück.
Interessant ist auch in einigen älteren Rezepten die Zugabe von Pilzen zum Mailänder Risotto. Sogar Milch oder Sahne werden erwähnt, was heutzutage genauso als Todsünde betrachtet werden würde wie die Sahne in einer Carbonara ich stelle mir gerade Diskussionen bei Facebook darüber vor!
Die Zugabe von Wein ist fakultativ, allein in der Gegend zwischen Mailand und Comer See, der Brianza, soll es Usus gewesen sein, Wein zu verwenden. Angeblich, weil dort auch die Braten in reichlich Wein geschmort wurden. Das Fett eines Bratenstück, das man beim Anschwitzen der Zwiebel verwendete, brachte demnach auch schon etwas Weinaroma mit.²
In diesem Zusammenhang ist auch oft von Rot- anstelle von Weißwein die Rede. Auch das geht angeblich auf die Bewohner der Brianza zurück, die bei reichen Mailänder Familien als Hausangestellte arbeiteten und ihre Kochgewohnheiten und Rezepte in der lombardischen Hauptstadt verbreiteten. ³

Zu guter Letzt: Ein Risotto ist gelungen, wenn er eine "Welle" macht, stellt man den Teller etwas schräg. Deve fare l'onda, sagt man hier in Italien. 

(... und - psssst. Der Risotto ist ein Primo, eine Vorspeise, keine Beilage. Aber keine Regel ohne Ausnahme: In Mailand kann dieser Risotto zum Ossobuco alla milanese serviert werden. Aber ausschließlich dazu...)






Zutaten
(für 2-3 Personen)

Fleischbrühe


  • 3 dicke Beinscheiben, das Mark herausgekratzt (aufheben!)
  • 1 rote Zwiebel
  • 2 große Karotten
  • 1/3 Knollensellerie
  • 1 Lauchstange
  • 1 Lorbeerblatt
  • ein paar angedrückte Pfefferkörner
  • Salz


Die Beinscheiben unter fließendem Wasser gründlich abspülen, damit auch letzte Markreste entfernt werden. In einem großen Topf mit ca. 4-4,5 L kaltem Wasser aufsetzen und zum Kochen bringen.
Ohne Deckel ca. ein halbe Stunde köcheln lassen, dabei immer wieder den an die Oberfläche steigenden Schaum entfernen.
In der Zwischenzeit Gemüse putzen und in Würfel schneiden. Die Zwiebel ungeschält halbieren und in einer beschichteten Pfanne kräftig anrösten.
Die Gemüsewürfel, die Zwiebel, Lorbeerblatt und Pfefferkörner zur Brühe geben und diese ohne Deckel ca. 2 Stunden köcheln lassen.
Brühe durch ein Sieb (wer sie ganz klar möchte: durch ein Tuch) in einen zweiten Topf füllen und mit Salz abschmecken. Auf einem Rost erkalten lassen. Wenn man den Risotto erst am Folgetag zubereiten möchte, Brühe im Kühlschrank aufbewahren.


Risotto alla milanese


  • 1 l Fleischbrühe (bei Marchesi: Hühnerbrühe)
  • 230 g Carnaroli
  • 1 gehäufter Tl Safranfäden
  • 1 kleine Schalotte
  • 15 g Mark
  • 50 g Butter
  • 125 ml Weißwein (fakultativ)
  • 45 g Parmigiano Reggiano, frisch gerieben
  • essbares Blattgold (fakultativ, für die Version von Marchesi)


Die Safranfäden für ein paar Stunden in ein wenig angewärmte Brühe geben und zur Seite stellen.
Die Fleischbrühe erhitzen und am Köcheln halten.
Das Mark in einem kleinen Topf verflüssigen lassen und durch ein Sieb in die Pfanne gießen (so mache ich es, natürlich kann man das Mark auf direkt in der Pfanne schmelzen).
Die Hälfte der Butter dazugeben und die sehr fein gewürfelte Schalotte darin langsam glasig dünsten.

Ich nehme zum Anschwitzen und später zur Fertigstellung Süßrahmbutter. Marchesi stellt eine Art "Sauerrahmbutter" her, in der er die Zwiebelwürfel zunächst mit etwas Wein und Essig aufkocht, den Alkohol verdampfen lässt und dann etwas Butter unterrührt. Das alles wird gefiltert; die so erhaltene, noch flüssige und aromatisierte Butter wird dann für eine Stunde zum Festwerden in den Kühlschrank gestellt. ¹ Diese Butter verwendet Marchesi später dann für die sogenannte "Mantecatura", damit bezeichnet man das Unterrühren der Butter zum Schluss. 

Den Reis hinzufügen und langsam glasig werden lassen. Dann mit dem Wein ablöschen und aufkochen lassen.
Nach und nach unter häufigen Rühren die Fleischbrühe hinzugeben; der Kochvorgang sollte nicht unterbrochen werden.
Die Kochzeit nach dem ersten Aufkochen mit der Brühe beträgt ca. 18 Minuten.
Nach zwei Drittel der Zeit die in etwas Brühe eingelegten Safranfäden zum Risotto geben.
Nach 18 Minuten die Pfanne vom Herd ziehen, die restliche Butter und den Parmesan untermischen und zugedeckt zwei Minuten ruhen lassen.
Wer mag, kann den Risotto nun mit einem Goldblättchen belegen.


Quellen:
¹ Lorenzo Vinci, Italien Gourmet Club, Intervista e ricetta di riso, oro e zafferano
² Ottorina Perna Bozzi, Vecchia Milano in Cucina, Ibis, Como-Pavia 2014, S. 127-129
³ Il Cucchiaio d'argento, volume 1, Nord-Italia, Editoriale Domus S.p.A.2012, S. 112
AlessandroMolinari Pradelli, La cucina lombarda, Newton&Compton Editori 2003

Nachtrag aus aktuellem Anlass:

Ist die Verwendung von Gold dekadent?
Als hätte ich es geahnt: Kaum ist das Rezept online, wird in den sozialen Netzwerken darüber diskutiert.
Für dieses Gold, das übrigens viel weniger kostet als die Safranfäden, wurde keinem Tier der Hals umgedreht, keine Schenkel bei lebendigem Leib herausgerissen (Frösche), kein lebender Hummer ins Wasser geworfen und kein Vogel zwangsernährt (Stopfleber).
Dieses Gold habe ich mir nicht extra gekauft; es war ein Geschenk, das lange Jahre ein unbeachtetes Dasein verborgen im Küchenschrank gefristet hat. 
Und ja, es bringt geschmacklich nichts! Genauso wenig wie ein Dekozweig Rosmarin!
Warum es bei Marchesi auf den Risotto kam, habe ich ja berichtet.



♥♥♥
Un abbraccio
Ariane

8 Kommentare:

  1. die Sache mit dem Mark finde ich interessant, das ist es wert ausprobiert zu werden!!
    Danke für das schöne Rezept und die Würdigung eines mir unbekannten Kochkünstlers, lg

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    1. Mark kannte ich früher nur von den wunderbaren Markklößchen meiner Oma.
      Aber auch in den klassischen Risotto alla milanese gehört es hinein - obwohl man es nicht sehr herausschmeckt.

      Saluti
      Ariane

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  2. Schön, dass du einen Nachruf auf Maestro Marchesi verfasst hast!
    Seit vielen Jahren bereite ich Risotto auf diese Art zu – sofern mir Mark zur Verfügung steht. Manchmal darf es auch etwas Blattgold sein: ich finde dies keinesfalls dekadent, im Gegensatz zu beispielsweise Kaviar oder Stopfleber.
    Und: all'onda – aber klar doch!

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  3. Ein gutes Neues Jahr 2018 wünsche ich Dir liebe Ariane !
    Na logisch, die sozialen Netzwerke sind so wie ihr Name sagt - sozial. ;-)
    Du solltest Dich darum nicht grämen und auf keinen Fall entschuldigen.

    Das Rezept von Marchesi war mir bekannt und nicht anders kochen wir unser klassisches Risotto, allerdings nehme statt des Selleries eine dicke Petersilienwurzel aus Allergiegründen.

    LG Biggi

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    1. Liebe Biggi,

      auch Dir ein gutes neues Jahr!
      Ich war hin- und hergerissen, diesen kleinen Nachtrag, diese "Rechtfertigung" hier zu veröffentlichen.

      Da Du Petersilienwurzel erwähnst: die gehört auch noch in eine gute Brühe, aber ich bekomme sie hier nicht. Leider!

      Saluti
      Ariane

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  4. Ach, Ariane, ich liebe es einfach, mit welcher Grandezza Du immer wieder unsere (verschobene) Wahrnehmung italienischer Klassiker zurechtrückst. Herzlichen Dank dafür! Ein schöner Beitrag, ein wundervolles Risotto und - ja! - manchmal muss halt Blattgold auf den Teller :) (Ok, nicht wirklich. Aber es sieht wunderschön aus und keiner leidet :-* )

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    1. Haha, ich hoffe, ich komme nicht allzu "oberlehrerhaft" 'rüber.
      Naja, wenn schon, dann wenigstens mit Grandezza...:-)

      Saluti
      Ariane

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