Donnerstag, 19. Februar 2015

"Königin" des "Quinto Quarto": La Coda alla Vaccinara




Es ist unbestritten das berühmteste Fleischgericht der römischen Küche! Vielleicht nicht das außerhalb Italiens bekannteste -  das bleibt wohl Saltimbocca alla Romana - aber das römischste. Und das deftigste überhaupt!

La Coda alla Vaccinara

Die Bezeichnung dieses Schmorgerichts, dessen Hauptzutat traditionell ein Ochsenschwanz ist und für das man viele Stunden auf dem Herd einplanen muss, könnte man am ehesten mit "nach Art der Metzgersfrau" übersetzen.
"Vaccinari" hießen die Schlachter in Rom. Die Bezeichnung für die Metzger, die im übrigen Italien "Macellai" (von "macellare" - schlachten) heißen, ist typisch römisch. Darin steckt das Wort "Vacca" für Kuh. "Carne di vaccina" oder auch "Carne di manzo" ist Rindfleisch.
Und an diesem Punkt kommen die Metzgersfrauen, nach denen das Rezept benannt ist, ins Spiel. Ihre Männer, die im Schlachthof am Testaccio arbeiteten, einem auf den Scherben römischer Amphoren entstandenen Stadtviertel, durften als Teil ihres Lohns die weniger edlen Teile der Schlachttiere mit nach Hause nehmen: das sogenannte "Quinto Quarto", das "fünfte Viertel". Niemals wären diese Teile der Schlachttiere auf den Tischen der römischen Aristokratie oder des Klerus gelandet!



Auch mir würde es einigen Mut abverlangen, Gerichte mit "Pajata" (Darm vom Kalb), "Trippa" (Kutteln) oder "Coratella" (Teile von Herz, Lunge, Speiseröhre, Leber, oft vom Lamm) zu kosten. Natürlich findet man noch heute diese Gerichte auf den Speisekarten der vielen Traditionslokale im Testaccio-Viertel, aber bei privaten Einladungen sind, nach meiner Erfahrung, diese deftigen Klassiker noch immer irgendwie tabu.
Dieses Schmorgericht stand aber schon seit längerem auf meiner Liste der auszuprobierenden, typisch römischen Spezialitäten. Ochsenschwanzsuppe kenne ich noch von früher; sie ist mir als sehr aromatisch im Gedächtnis geblieben. Aber selbst in Rom scheint man den Ochsenschwanz immer häufiger durch den zarteren Kalbsschwanz zu ersetzen, der auch nicht ganz so viele Stunden braucht, bis sich das Fleisch vom Knochen löst. Jaja, hier dürfen nun die Kritiker gerne die Hand heben und sagen, dass dieses Gericht nur und ausschließlich mit Ochsenschwanz gemacht werden dürfe. Aber mein (römischer) Metzger hat nur Kalbsschwanz im Angebot - und zwar immer dienstags -, und auch in (italienischen) Rezepten nimmt man oft Kalbsschwanz - und damit wäre ich doch ein bisschen auf der sicheren Seite, oder?
Das einzige, was Ihr mir vorwerfen dürft, ist, dass ich jetzt über drei Jahre aus Rom blogge, und noch niemals dieses so urrömische Gericht vorstellt habe.




Zurück zu den Metzgersfrauen und ihrem heute wieder ganz im Trend stehenden "Nose-to-Tail-Cooking". Pfiffig, wie sie waren, ist es ihnen gelungen, mit diesem Gericht ihren hungrigen Männern gleich zwei Gänge zu servieren. Nach römischer Tradition nahmen sie etwas Sugo aus dem Schmortopf, den sie mit der Pasta - üblicherweise Rigatoni - vermischten. Dann erst wurde das eigentliche Fleischgericht für den Hauptgang fertiggestellt. Mit welcher Raffinesse sie dabei vorgingen, lässt sich an den Gewürzen ablesen: Korinthen, Pinienkerne und Kakaopulver verfeinerten das von Sugo umhüllte Fleisch. Die Verwendung von Kakao ist dabei nicht so ungewöhnlich, kochte man im päpstlichen Rom mit vielen Gewürzen, zu denen auch der Kakao zählte. Auch mit Gewürznelken aromatisierte man häufig Fleischgerichte. In Pellegrino Artusis Standardwerk von 1891 "La Scienza in cucina e l'arte di mangiar bene"* ist von einem Ochsenfleischschmortopf die Rede, bei dem das Fleisch in Wein mariniert und dann mit Nelken und Speck gespickt wird. Das Ganze wird dann in Olivenöl angebraten, und Artusi schreibt: "Non lo credo cibo confacente agli stomachi deboli." (Ich glaube nicht, dass dieses Gericht für schwache Mägen geeignet ist.)
Dann hoffe ich mal, dass mein zarter Kalbsschwanz nicht nächtens im Bauch wieder zu wedeln anfängt!




Zutaten
(für 4 Personen)

1 kg Kalbsschwanz, vom Metzger in Teile gehackt
1 große Zwiebel
2 kleine Karotten
2 Stangen Sellerie
1 Knoblauchzehe
1 El gehackte glatte Petersilie
100 g Guanciale, gewürfelt
400 ml trockener Weißwein
1 kg geschälte Tomaten aus der Dose ("Pelati")
3-4 Gewürznelken
Olivenöl extra vergine
Salz, frisch gemahlener Pfeffer

300 Rigatoni


Die Teile des Kalbsschwanzes unter fließendem Wasser gut abbrausen; manche Rezepte empfehlen auch, ihn einige Zeit zu wässern, dabei das Wasser öfters zu wechseln, um Blutreste auszuspülen.
Kalbsschwanz trockentupfen.




Zwiebel, Knoblauchzehe, Karotten und Selleriestangen möglichst fein hacken; das ergibt die in der italienischen Küche häufig gebrauchte Basis, das sogenannte "Soffritto".




In einem großen Bräter etwas Olivenöl erhitzen und die Guanciale-Stückchen ausbraten. Wenn sie beginnen, kross zu werden, die Schwanzstücke hinzufügen und anbraten; sie sollen nicht braun, sondern langsam weißlich werden.
Nun kommen das feingehackte Gemüse, die feingewiegte Petersilie und die Gewürznelken hinzu. Alles zusammen weiter anbraten, bis die durch das Gemüse entstandene Flüssigkeit verdampft ist. Salz und Pfeffer sowie den Wein dazugeben und zugedeckt 20 Minuten köcheln lassen.
Nach dieser Zeit die geschälten Tomaten mit in den Topf geben und den Kalbsschwanz bei kleiner Hitze 2-3 Stunden köcheln lassen; dabei ab und an umrühren. Der Kalbsschwanz ist gar, wenn das Fleisch sich vom Knochen zu lösen beginnt.
Nun ist der erste Teil der Zubereitung vollendet, man nimmt jetzt etwas von dem Sugo aus dem Topf und vermischt ihn mit den al dente gekochten Rigatoni. Dazu frisch geriebenen Pecorino Romano oder Parmigiano reichen.



3 Stangen Sellerie
20 g Pinienkerne
30 g Korinthen
etwas dunkles Kakaopulver (ungefähr 1 Tl)


Den Sellerie in Stücke schneiden und in Salzwasser kurz blanchieren. Korinthen in heißem Wasser einweichen, dann gut ausdrücken.




Eine Suppenkelle voll vom Sugo abnehmen und diesen mit der Schokolade mischen. Die Mischung wieder zusammen mit den Pinienkernen, den blanchierten Selleriestücken und den ausgedrückten Korinthen in den Topf geben und alles gut vermischen. Noch einmal kurz aufkochen lassen.
Das Fleisch mit dem Sugo ist nun das Hauptgericht, der Secondo piatto. Dazu isst man in Rom nur etwas Brot, einen Salat oder auch eine Gemüsebeilage.





* Pellegrino Artusi, La Scienza in cucina e l'arte di mangiar bene, Giunti Editori, Mailand/Florenz 1986/2012

Restauranttipp: In vielen Restaurants und Trattorien Roms findet man noch heute diese typisch römischen Gerichte. Besonders im Testaccio-Viertel hat man sich dieser kulinarischen Tradition verschrieben. (Ich berichtete über das Viertel bereits hier).
Bekannt für die Gerichte des Quinto Quarto ist vor allem dieses Restaurant:

Checchino dal 1887
Via di Monte Testaccio, 30
00153 Roma
Tel.: 065743816
Home


♥♥♥
Un abbraccio
Ariane

22 Kommentare:

  1. Ich liebe Rigatoni. Und Sugo. Und Kalb-/Rindfleisch. Und Nose-to-Tail. Und tolle Geschichten rund ums Essen. Und Traditionen und und und... Was für eine schöne Story! Das Gericht stelle ich mir super reichhaltig, schmackhaft und "seelenwärmend" vor. PS: Natürlich ist das Restaurant auch sonntagabends geschlossen ^^ *kicher*

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    1. Hach - man merkt Dir so die Vorfreude auf Rom an! Das ist richtig ansteckend! :-) Und mit den Gastronomen müssen wir wohl mal ein Wörtchen reden....;-)
      Saluti
      Ariane

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    2. Eigentlich bin ich satt, aber wenn ich deine Bilder sehe krieg ich Hunger. Tolle Bilder, tolles Rezept.
      Lg grimmel

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    3. Danke, liebe Grimmel! Uns ist noch ein Restchen übriggeblieben, und das lassen wir nicht verkommen! :-)
      Saluti
      Ariane

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  2. Wow! Sieht toll aus und liest sich so, dass ich es unbedingt nachkochen muss!

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    1. Wenn ich Dir um diese Uhrzeit noch Appetit gemacht habe, dann muss das Rezept ja wirklich sehr verlockend sein. ;-)
      Saluti
      Ariane

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  3. Das verlockt mich nun auch sehr, mich endlich mal an dieses Stück Rind zu machen.... tolles Rezept!

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    1. Schön, liebe Ninive, Du kannst wieder kommentieren! :-) Ich weiß wirklich nicht, woran das liegt, dass Du manchmal hier "ausgesperrt" bleibst!!
      Und noch schöner, wenn Du das Gericht nachkochen möchtest!
      Saluti
      Ariane

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  4. Ja, ja, Innereien und andere "unedle" Teile vom Tier! Hier in Italien (und besonders in ländlichen Gegenden wie der unsrigen) hat man ja ein eher positives Verhältnis dazu und sie werden auch ganz anders zubereitet, als wir das aus Deutschland kennen, wo man Innereien gerne säuerlich abschmeckt, was wir nicht so mögen. Gott sei Dank haben wir vor absolut nichts Scheu, d. h. wenn die Zubereitung stimmt, essen wir so ziemlich alles vom Tier, wobei wir bei Innereien aber auch das Fleisch junger Tiere vorziehen, also Lamm, Kalb etc., ist einfach zarter - sowohl im Geschmack als auch in der Konsistenz.

    In einem unserer Lieblingsrestaurants, dem Il Poggio delle Armonie in der Nähe des Lago di Fiastra, kocht man eine wunderbar würzige Coratella - wir könnten uns jedesmal hineinknien! Der Koch hat uns auch schon ein Ragout vom Ochsenschwanz zubereitet und das ist in ausgesprochen guter Erinnerung geblieben. Wir schätzen diese etwas ungewöhnlicheren Gaumenreize sehr, die sich wohltuend vom üblichen Einerlei abheben, das man leider Gottes ja auch hier in Italien oft findet.

    Jedenfalls hat mich Dein wie immer wunderschöner Bericht inspiriert, doch auch mal Coda di Manzo oder Vitello zuzubereiten. Danke für die beiden leckeren Rezepte - sei un tesoro!

    Un abbraccio da
    Elvira

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    1. Il tesoro sei Tu, mia cara fedele Elvira! Ja, also Coratella, das ging bei mir irgendwie "kopfmäßig" nicht...Ich Florenz habe ich ja Kuhschnauzen gesehen und auch fotografiert; das Rezept würde mich ja wirklich mal interessieren (aber auch das wollte ich nicht nachkochen, geschweige denn essen!!).
      Saluti
      Ariane

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  5. Hach, klingt das alles köstlich! Am liebsten würde ich gleich und auf der Stelle kosten.. mir läuft tatsächlich das Wasser im Mund zusammen.. ;-)
    Ochsenschwanz/Suppe mag ich schon mal sehr gerne, also sollte ich werde ich dieses Rezept auch mal ausprobieren.. Danke dafür.

    Liebe Grüße
    Elena

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    1. Ich hätte gar nicht gedacht, dass dieses deftige Gericht so viel Anklang findet! :-)
      Freut mich, liebe Elena!
      Saluti
      Ariane

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  6. Wieder so ein tolles Rezept - da ist man glatt ein bissl neidisch, dass man nicht auch in Rom wohnt ;) Aber die Pasta wird sicher mal nachgekocht, und dann holen wir uns einfach ein Tellerchen Rom nach Hause!

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    1. Danke, liebe Katha! :-) Aber vielleicht kannst Du ja einen Kalbsschwanz bei Deinem Metzger bestellen? Da holst Du Dir Dein eigenes kleines Rom nach Hause. :-)
      Saluti
      Ariane

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  7. Liebe Ariane,
    Ich freue mich deinen Blog gefunden zu haben!
    So tolle Rezepte, da bekommt man nicht nur Hunger sondern auch große Lust, sie auszuprobieren. Danke!
    Ganz liebe Grüße und bis bald.
    Ella

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    1. Danke, liebe Ella, es freut mich sehr, wenn Du zu mir gefunden hast!
      Sei herzlich willkommen! :-)
      Saluti
      Ariane

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  8. Danke liebe Ariane für das Rezept und die ausführliche Beschreibung. Ich habe es nachgekocht, aber etwas anders. ;-) Ist trotzdem sehr lecker geworden - http://www.kochtopf.me/bestes-sonntagswohlfuhlessen-tortiglioni-beinah-romischen-ochsenschwanzragout

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    1. Super, das freut mich! Ich hatte es schon gesehen und finde, dass Deine Version ganz phantastisch aussieht! Grazie!
      Saluti
      Ariane

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  9. Liebe Ariane, auf der Suche nach einem neuen Rezept für die Verarbeitung von Ochsenschwanz bin ich auf deiner Seite gelandet. Die Beschreibung, die Bilder und das, was zwischen den Zeilen rüber kommt waren so toll, dass dieses Gericht einfach auf unseren Tisch musste. Da wir es lieber als Ragout wollten, entstand diese etwas abgewandelte Form https://www.rezeptwiese.de/rezepte/132836-la_coda_alla_vaccinara . Geschmeckt hat es wunderbar. Nochmals danke für diese tolle Inspiration.

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  10. Liebe Ariane, es ist bereits das zweite Mal, dass ich dieses Rezept von Deinem wundervollen Blog koche.
    Liebe Grüsse aus der Toscana
    Helena

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