Kaum hatte Alfonso Iaccarino den Kochlöffel an seinen Sohn Ernesto übergeben, brach ein Streit aus, der unterschwellig schon lange vorhanden war: Kann man mit Pastagerichten und "bodenständiger" italienischer Küche drei Michelin-Sterne erreichen?
Vater Alfonso - Don Alfonso - war über jeden Zweifel in dieser Frage erhaben, schließlich hatte er bereits einen dritten Stern erkocht, als weite Teile Süditaliens noch kulinarisches Entwicklungsland waren: In den vergangenen Jahrzehnten wurde das Bild des kulinarischen Italiens geprägt von der Cucina povera in der Osteria.
Trotzdem wagte es Don Alfonso, seine kulinarische Linie gerade auf der einfachen und regionalen Küche aufzubauen. Das italienische Prinzip der besten Zutaten hat er dabei auf die Spitze getrieben. Inzwischen hat die Familie Iaccarino neun Hektar Obst- und Gemüsegärten, die direkt an ein Naturschutzgebiet angrenzen und mit fünf landwirtschaftlichen Mitarbeitern bewirtschaftet werden.
"Wir wollen gar nicht die Franzosen imitieren, das haben wir nämlich nicht nötig", sagt Giuseppe di Martino, "Pastapapst" aus Gragnano, der auch zu den Gästen an diesem Abend gehörte. "So wie die italienische Mode einen ganz anderen Charakter als die französische hat, gibt es eben auch grundlegende Unterschiede in der Küche!"
Nun gibt es nach wir vor eine eingefleischte französische "Fraktion", die der Küche Italiens das Sterne-Niveau abspricht. Immer wieder taucht diese Feststellung in diversen Blogs auf. Aber gibt es in Frankreich wirklich nur die einzig wahre, in höchstem Maße veredelte Küche? Dominieren nicht auch dort regionale, teils bäuerliche Traditionen? Auch wurde ich schon gefragt, ob es in Italien überhaupt so etwas wie eine gehobene Gastronomie gebe; meist macht mich das sprachlos. Andererseits verstehe ich diese Unkenntnis auch; man kennt halt die von süditalienischer Küche geprägte Trattoria, den "Italiener und die Ecke", das Touristenlokal am Gardasee oder in den Kunststädten des Stiefels. Aber repräsentiert das die wahre Küche Italiens? Allzu leicht vergessen wird, dass es früher schon eine gehobene - aristokratische - Küche in Italien gab, etwa an den Fürstenhöfen.
Der Besuch bei Don Alfsonso 1890 in dem kleinen Städtchen Sant'Agata sui due Golfi war Höhepunkt eines kurzen Aufenthalts in Sorrent im vergangenen Juni. Ein Abend voller Genuss, der mit einem Besuch in der Küche begann und seinen würdigen Abschluss in der Besichtigung des spektakulärsten Weinkellers, den ich je gesehen habe, endete.
Ambiente und Service waren tadellos, ganz so, wie man es sich von einem Sterne-Restaurant erwartet, das Menu sorgte für jene Gaumenfreuden, die das Merkmal jeder gehobenen Küche sind, in dem es dieser gelingt, die Quintessenz des Geschmacks aus einem Gericht herauszukitzelten. Die Herzlichkeit der Familie Iaccarino machte den Abend schließlich perfekt.
Während des Abends konnte ich in die Küche schauen, und ich bewunderte dabei das aufeinander abgestimmte Zuarbeiten in der Küche, in der es ruhig und konzentriert wie in einem OP-Saal zuging. Die Küche selbst ist mit mit farbenfrohen Majoliken ausgekleidet, die Muster aus dem 19. Jahrhundert zum Vorbild haben und typisch für die Region sind.
Einige der hier abgebildeten Fotos zeigen die Gerichte meiner Tischnachbarn. Für mich gab es immer wieder Alternativen ohne Meeresgetier.
Natürlich wurde viel und angeregt über das Essen gesprochen. Später gesellte sich auch der Maestro selbst sowie seine Frau zu uns, während sein Sohn Ernesto noch in der Küche beschäftigt war. Ungewöhnlich ist übrigens der Werdegang von Ernesto Iaccarino: Zunächst das Studium der Wirtschaftswissenschaften an Mailands Elite-Uni, der Bocconi, dann die Erkenntnis, doch die berufliche Bestimmung und seinen Platz im Restaurant der Familie zu suchen - und schließlich zu finden. Das Talent und die Kreativität im Umgang mit den in ihrer Qualität herausragenden Produkten einer der spektakulärsten Gegenden von Italien scheinen ihm in die Wiege gelegt worden zu sein...
Das Amuse-Bouche, begleitet von hauchdünnen "Chips", für mich nur mit Kurkuma aromatisiert. Die anderen Gäste hatten zusätzlich noch mit Sepiatinte eingefärbte, hauchdünne Brotchips, Zucchini-Häppchen ...
Das Olivenöl zum Menu: Nocello di Belice...
Parmigiana di Melanzane...
Calamaretti ... mit Ricotta gefüllt, auf einer Salsa aus Erbsen und Ingwer...
Nostro Orto ..."unser Garten": Spinatmousse, karamellisierte Zwiebelm, Meerrettich-Eis...
In seinem Element: der Sommelier...
Petto d'anatra ... mit Zimt aromatisierte Entenbrust, Borretsch-Pulver, Apfelmus und Balsamico-Reduktion...
Salsiccia di pezzogna ... eine Art "Wurst" aus Zahnbrasse, eine im Golf von Neapel vorkommende Fischart, mit Pistazien, Spargel, Trüffel (nach einem Rezept aus Bourbonischer Zeit [1743-1862])...
Gnocco acqua e farina ... Gnocco mit flüssigem Kern aus geräucherter Scamorza. Sugo aus Kirschtomaten vom Vesuv...
Nudi di ricotta ... Ricotta-Tortelli in Knurrhahn-Reduktion, mit Verbene-Aufguss...
Cappelli di pasta farciti con stracotto di pollo ... Cappelli mit einer Füllung auf langsam geschmorten Geflügel-Fleisch auf Zwiebel-Parmigiano-Sauce, mit Trüffeln...
Filetto di manzo del Beneventano ... Rinderfilet von Rindern, die in einer Höhe von über 1000 Meter weiden und sich nur von Kräutern ernähren, in Brot-Mangold-Mozzarella-Pancetta-Mantel, "grüne Sauce" aus Broccolo Napoletano , pikantes Tomatenpüree...
Agnello Laticauda ... Lamm mit frischen Kräutern...
La reinterpretatione dell'uovo in tegamino ... ein weiterer Höhepunkt, Ei in fluffiger Burrata-Crème mit Trüffel...
Concerto di limone ... die wahrhaft paradiesische Zitronencrème - natürlich aus Amalfi-Zitronen - wäre schon alleine einen Besuch des Restaurants wert. Versenkt darin war ein kleines Gebäckstück, das perfekt mit der unglaublichen Weichheit Crème harmonierte. Frau Iaccarino gab mir den Tipp, unbedingt ein Stückchen Schale zu essen, und allein das war ein Geschmackserlebnis, das man wohl nur diesen einzigartigen Zitronen zu verdanken hat. Um es zusammenzufassen: Hier dominierte die sanfte Seite der Zitrone, ein Triumph dieser oft nur als Zutat und Geschmacksverstärker verwendeten Frucht, der seinesgleichen sucht.
Geometrie di cioccolato ... Interessant war eine Art "Schokoladenparcours", den man in einer vorgegebenen Reihenfolge probieren musste. Waldfrüchte und Szechuan-Pfeffer aromatisierten die einzelnen Elemente, das mit Rughetta gefüllte Schokokästchen soll am Ende der kleinen Schokoladen-Degustation die Zunge "reinigen"...
Piccola Pasticceria... Raffinierte Pâtisserie schloss das Menu ab: Macarons, gefüllte Kirschen und andere verlockende Kleinigkeiten, natürlich dekoriert mit ein paar Show-Effekten...
Begleitet wurde das Menu von einigen edlen Weinen, die viele Jahre in dem einzigartigen Kellergewölbe gereift waren. Nach der Schlemmerei tat der Abstieg in die Unterwelt gut. Bis ganz in die Tiefe nur hatte ich es dann - es war weit nach Mitternacht - doch nicht mehr geschafft. Aber bei einem nächsten Besuch dringe ich auch bis in das unterste Kämmerchen mit den ausgesuchten Käsesorten vor!
Erfreulicherweise bin ich jetzt stolze Besitzerin eines von Ernesto Iaccarino handsignierten Kochbuchs, das zu studieren sich lohnt. Vorerst schwelge ich aber noch in meinen Geschmacks-Erinnerungen.
Don Alfonso 1890
Corso Sant'Agata, 11/13
80064 Sant'Agata sui due Golfi/Napoli
Tel.: 0039 0818780026 ǀ 0039 0818780561
Michelin: 2 Sterne
Gambero Rosso: 3 Forchette
info@donalfonso.com
donalfonso@relaischateaux.com
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♥♥♥
Un abbraccio
Ariane
was für ein schöner Beitrag und erst das tolle Essen und der alte Keller!!
AntwortenLöschenIch kenne S. Agata, wir hatten vor Jahren dort einmal ein Ferienhäuschen gemietet,
lg
Ja, das war alles ein Genuss. So einen Abend vergisst man nie! :-)
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Ariane
Hi Ariane,
AntwortenLöschenwow, ich bin total fasziniert von den Speisen und diesem tollen Weinkeller. Kann den jeder Gast einfach so besichtigen?
LG Melli
Der Abstieg in den Weinkeller hat dem Abend noch einen weiteren Höhepunkt gegeben. Leider hatte ich es nicht mehr bis ganz nach unten (über die Wendeltreppe) zu den Käsesorten geschafft (ich trug hohe Absätze). So bleibt noch etwas für ein hoffentlich nächstes Mal. :-)
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Ariane
P.S. : Ich weiß nicht, wie sie es sonst s mit der Besichtigung von Küche und Keller halten. Aber da unser Bekannter, Giuseppe di Martino, mit der Familie befreundet ist, war das kein Problem. Aber ich glaube, wenn man mit Don Alfonso oder seiner Frau ins Plaudern kommt und lieb fragt, dürfte das kein Problem sein. :-)
LöschenAch wie traumhaft - das muss wirklich ein toller Abend gewesen sein! Da wird man glatt ein bisschen neidisch ;)
AntwortenLöschenJa, da stimmte eigentlich alles: das feine Essen, das tolle Ambiente - und vor allem die netten Mensch am und rund um den Tisch. :-)
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Ariane
Welch traumhafter Bericht eines wundervollen Abends, liebe Ariane. Da kommt bei mir glatt ein wenig Wehmut auf. 30 Jahre ist es schon her.....
AntwortenLöschenLiebe Grüsse, Irmgard
Da möchte ich am liebsten eine Zeitreise machen und den Don Alfonso von heute mit dem von vor dreißig Jahren vergleichen. Kannst Du Dich noch daran erinnern, was Du gegessen hattest? Denn solche Abende bleiben ja im Gedächtnis. :-)
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Ariane
Leider weiss ich nicht mehr, was wir auf den Tellern hatten, doch das Gesamterlebnis bleibt ewig in meiner Erinnerung. Es war dort noch recht ländlich und die Umgebung sehr einfach, aber im Restaurant sah man schon die Mühe, die sich das damals noch junge Paar gab. An diesem Abend im April 1985 waren wir die einzigen Gäste im Restaurant, wurden sehr umsorgt und fuhren begeistert wieder nach Sorrento hinunter. Als Abschiedsgeschenk erhielten wir einen Tonkrug, den ich heute noch (irgendwo) habe.
LöschenGruss, Irmgard
Wie schön solche Erinnerungen sind! Ja, die Umgebung ist - im Gegensatz zu Sorrent - ja eher ländlich, noch immer. Man erwartet gar nicht ein solches Restaurant. Und dann auf einmal tritt man in eine andere Welt ein.
LöschenEs freut mich, liebe Irmgard, wenn Du wieder ein wenig in Deinen Erinnerungen "wühlen" konntest. Ich mache das gerne und oft, wenn ich an unvergessliche Orte denke! :-) Und danke, dass Du sie mit uns teilst! :-)
Saluti
Ariane
Was für ein Menü! Wer will da noch zu den Franzosen? Einen wirklich harten Rechercheauftrag hattest Du da. Falls Du noch eine Assistenz für die Exkursion in den Käsekeller benötigst, melde Dich gerne!!
AntwortenLöschenHaha, das war echt harte Arbeit (ohne Witz, gegen Ende, als die anderen den Caffè tranken, habe ich mich entschuldigt und bin eine Runde durch den Garten gelaufen...)! Was bin ich auch so bekloppt und habe mein Essen nicht einfach genossen. Aber dann denkt man sich: Das wäre doch was für den Blog...( Ganz bewusst hatte ich vergangene Woche beim Besuch eines auch ausgezeichneten Restaurants die Kamera zu Hause gelassen, damit ich gar nicht erst in Versuchung komme!) Beim nächsten Mal nehme ich Dich mit. Wir arbeiten!! uns dann bis zum in den untersten Gewölben gelagerten Käse vor...
LöschenSaluti
Ariane