Cantuccini, die beliebten
Biscotti aus der Toskana, müssen, wie der Name schon sagt, zweimal gebacken werden.
Carciofi alla guidia - Artischocken auf jüdische Art - werden dagegen zweimal frittiert. Nur auf diese Weise bekommen sie ihre typische Form, die an eine Blüte erinnert.
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Tafel bei meinem Gemüsehändler:
"Die Artischocke ist weder eine Frucht noch ein Gemüse. Sie ist eine Blume, und was für eine!" |
Kaum ein römisches Restaurant, das lokale Traditionen hochhält, kommt ohne Artischockengerichte auf der Speisekarte aus. Natürlich nur, wenn die Saison dafür gekommen ist, und wie ein Gang über den
Campo de' fiori heute verriet, sind wir nun mittendrin.
Aus den kleinen
Carciofi Romanesco, die nur wenig bis gar kein Heu in ihrem Innern verbergen, bereitet man in Rom zwei der typischsten Gerichte der italienischen Hauptstadt zu:
Carciofi alla Romana, die ich bereits vorstellt habe, und die knusprigen
Carciofi alla giudia. Ich kann mich schwer entscheiden, welche ich davon lieber mag. Artischocken gehören zu meinem Lieblingsgemüse, gerne auch als Begleitung zu Pasta, wie hier bei diesen
Tortelli. Früher kannte ich Artischocken nur als Vorspeise, bei der man die fleischigen Blätter aus der Knolle herauszupft, diese in einer Mayonnaise oder Vinaigrette versenkt und dann mit Hilfe der Zähne abstreift. Appetitlich fand ich diese Angelegenheit nie.
Heute möchte ich zeigen, wie man die Artischocken auf jüdische Art zubereitet, und dafür nehme ich Euch einfach mal mit auf meinen Markt und weiter bis zum römischen Ghetto.
Ich habe sie oft im Restaurant schon gegessen, diese wunderbar knusprigen Artischocken mit den durch das Frittieren chipsartigen Blättern, mich aber noch nie an die Zubereitung getraut.
Manchmal ist es seltsam, wie ein Blogpost entsteht. Ich wachte am Morgen auf, und noch im Halbschlaf dachte ich: Heute gibt es
Carciofi alla Giudia!
Denn ein Blog aus Rom, der sich der Kulinarik widmet, ohne diese Spezialität, ohne diesen Triumph der römischen Küche je präsentiert zu haben, ist eigentlich undenkbar!
Also am Vormittag zum Markt, nach Artischocken Ausschau halten - und sich diese gleich küchenfertig vorbereiten lassen. Das Zurechtschneiden der Artischocken überlasse ich nämlich den Spezialisten, und mein Obstverkäufer, ein junger Mann aus San Salvador, putzt flink und geschickt darauf los.*
Viele Spezialitäten der römischen Küche haben nicht nur in den Gerichten des sogenannten
Quinto Quarto (wörtlich: fünftes Viertel), also der Fleischteile, die Schlachthausarbeiter als Teil ihres Lohns mit nach Hause nehmen durften, ihren Ursprung, sondern stehen auch in jüdischer Tradition. In Rom befindet sich das zweitälteste Ghetto der Welt, nur rund 30 Jahre entstanden nach dem noch älteren in Venedig, das sich im 14. Jahrhundert entwickelt hatte.
Es gibt einige etymologische Theorien, wie die Bezeichnung "Ghetto" für jüdische Viertel entstanden ist. Ganz sicher geht es auf den venezianischen Ausdruck
"Gheto" zurück, der nach dem Stadtteil benannt ist, in dem sich die Gießereien der Lagunenstadt befanden.
Gettare ist das italienische Wort für "gießen" - und richtig: das fehlt doch ein "h"!
Man nimmt an, dass das auf die falsche Aussprache des Wortes durch die deutschstämmigen jüdischen Handwerker und Arbeiter, die damals in Venedig in den Gießereien arbeiteten, zurückzuführen ist. Anders als im Italienischen sprachen sie das "ge" wie geschrieben aus, also wie zum Beispiel beim Wort "
Gesicht". Gettare spricht sich aber im Italienischen
"dƷet'ta:re" (dschettare) aus. Mit einem stummen "h" dagegen wird es wieder zu einem harten "g" - wie auch im Wort
Spaghetti. Und so hat sich diese Schreibweise mit der Zeit durchgesetzt.
Das römische Ghetto, das in nur wenigen Minuten zu Fuß vom Markt
Campo de' fiori aus zu erreichen ist,
zeigt sich gerade seit einigen Jahren wieder als ein sehr lebendiges Viertel, mit vielen koscheren Restaurants, Cafés und Imbissen.
Neben römisch-jüdischer Küche werden hier auch Spezialitäten des Nahen Ostens angeboten. Im Sommer waren wir mit einem sehr guten alten Schulfreund und dessen Familie, die streng nach den koscheren Speisevorschriften leben, in einem Restaurant, in dem ich Hummus und exzellente Falafel bestellt habe,
Die Große Synagoge von Rom, nahe der Tiberinsel gelegen, wurde Anfang des vergangenen Jahrhunderts errichtet. Hier befindet sich auch in jüdisches Museum.
"Stolpersteine" vor Hauseingängen - die ersten wurden im Jahr 2010 verlegt - erinnern an das schreckliche Schicksal vieler ehemaliger Bewohner des Ghetto. Oft bücke ich mich und lese die Namen der Opfer, darunter Babies, Kleinkinder und alte Menschen. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie die Menschen aus den Haustüren gezerrt und weggebracht wurden..
Oft mache ich einen kleinen Umweg durch das Ghetto und über die Tiberinsel, wenn ich nach Trastevere gehe, da ich hier, auch wenn stets viele Touristen unterwegs sind, noch ein sehr ursprüngliches Rom vor Augen habe.
Nach dem kurzen Besuch des Ghetto am Morgen geht es über den Campo de' fiori wieder nach Hause, wo es dann endlich an die Zubereitung der Artischocken geht.
Ich hoffe, der kleine Rundgang hat Euch neue und vielleicht noch unbekannte Eindrücke von Rom gegeben.
Zutaten
(man rechnet eine Artischocke pro Person)
Artischocken (wenn möglich die Sorte "Romanesco")
hoch erhitzbares Pflanzenöl
Saft einer Zitrone
Salz, frisch gemahlener Pfeffer
etwas Weißwein oder Wasser
Wer das Putzen und Zurechtschneiden der Artischocken selbst erledigen möchte, findet beim meinem Rezept für die
Carciofi alla Romana eine kleine Anleitung dazu. Die Artischocken unbedingt bis zur weiteren Verarbeitung in Zitronenwasser aufbewahren.
Öl in einen Topf gießen, bis die Flüssigkeit, wenn man einen Esslöffel in das Öl stellt, zwei Drittel der Löffelfläche einnimmt. Das Öl erhitzen.
Die Artischocken aus dem Zitronenwasser nehmen und trockentupfen. Nun die Artischocken vorsichtig ein paar Mal auf der Arbeitsfläche aufklopfen. Alternativ kann man jeweils zwei Artischocken gegeneinanderschlagen. Die Blätter sollen sich auf diese Weise etwas lockern.
Die Artischocken in das heiße Öl geben und ab und an wenden. Die erste Frittierrunde ist abgeschlossen, wenn die Stielenden sich leicht mit einer Gabel durchstechen lassen. (Längere Stiele abschneiden und mit ins Öl geben. An diesen dann die Garprobe durchführen.)
Artischocken mit einer Schaumkelle herausnehmen und auf einen mit Küchenpapier ausgelegten Teller setzen. Abkühlen lassen.
Wenn man sie wieder anfassen kann, die Blätter der Artischocke vorsichtig mit den Fingern auseinanderdrücken. Artischocken von allen Seiten salzen und pfeffern.
Das Öl erneut erhitzen und die Artischocken mit dem Stiel nach oben in das Öl geben. Eventuell mit einer Gabel nach unten drücken. Während dieses zweiten Frittiervorgangs die Artischocken mit einer Gabel kurz aus dem Öl heben und mit ein paar Tropfen kaltem Weißwein oder kaltem Wasser bespritzen und dann wieder ins Öl legen und knusprig ausbraten.
Die Blätter sollten nun braun und knusprig sein, das Herz noch weich.
Questi sono i carciofi alla guidia
dal torso snello e dal sapor gustoso chiamati in romanesco "sciccheria" rasserenano il matto ed il goloso, dan lustro e vanto alla gastronomia ammansiscon la suocera più arpia
e a pranzo,a cena in casa e all'osteria
oro croccante, amor d'ogni goloso
questi sono i carciofi alla giudia
(Luciano Folgore)
(Dies sind die Artischocken auf jüdische Art
von schlankem Rumpf und schmackhaft
in römischem Dialekt "sciccheria" genannt
sie erheitern den Verrückten und den Gefräßigen
verleihen der Esskultur Glanz und Ruhm
besänftigen die garstigste aller Schwiegermütter
und zum Mittagessen, zum Abendessen, zu Hause oder in der Osteria
knuspriges Gold, Liebling eines jeden Verfressenen
dies sind die Artischocken auf jüdische Art)
Gedicht entnommen aus: Livio Jannattoni, La cucina Romana e del Lazio, volume secondo, Newton & Compton editori, 2003
* mit Erlaubnis der Veröffentlichung im Blog
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Un abbraccio
Ariane