Was mich am meisten überraschte, war diese Ruhe. Ich hatte hektisches, lautes Küchentreiben erwartet, wie man es aus einschlägigen TV-Formaten kennt. Statt dessen fand ich mich wieder inmitten einer Atmosphäre konzentrierter Geschäftigkeit, bei der jeder Handgriff saß: In der Mitte sechs oder acht Teller für den Hauptgang, und acht Hände arrangieren mit routinierter Perfektion Gemüse, Fleisch oder Fisch und dekorative Elemente.
Und wir waren mittendrin...
Chef's Table nennt sich das kulinarische Highlight unseres Urlaubs-Hotels Lindenhof in Naturns bei Meran. Was uns erwartete, war ein Zehn-Gänge-Degustationsmenü inklusive Wein- und Olivenölverkostung.
Ich brauche nicht zu sagen, dass ich den Tag über fastete, am Abend ein Kleid mit Empire-Schnitt trug und am folgenden Morgen besonders eifrig eine Wanderung antrat.
In einer vertäfelten Nische der Hotelküche, direkt vor dem Arbeitsbereich von Pâttisier Josef Martin, wartete ein schön eingedeckter Tisch mit einer ganzen Batterie von Gläsern auf uns - das sah nach ganz viel "Arbeit", aber auch sehr viel Vergnügen aus. An dem Tisch sitzt täglich die Küchencrew, bespricht ihr Tagesprogramm und isst gemeinsam zu Abend. Von unserer Ecke aus aus überblickten wir einen Großteil der Küche, in der ich mich frei bewegen und auch fotografieren durfte.
Als Gäste des
Chef's Table wurden wir von Juniorchef Joachim Nischler betreut, der uns zu Beginn kurz den Ablauf des Abends erklärte.
In der "Aufwärmphase" gab es zunächst Olivenöl aus drei verschiedenen Regionen Italiens - vom Gardasee, aus der Toskana und aus Sizilien -, in das wir unser Baguette aus hauseigener Produktion genießerisch stippen konnten. Dazu gab es noch selbstgebackene Vollkornbrötchen mit einem feinen Kürbisaufstrich.
Fast gleichzeitig ging es dann aber los mit dem ersten Gang des grandiosen Menüs, das Chefkoch Andreas Pircher mit seiner Crew direkt vor unseren Augen zubereitete. Natürlich gab es das Beste, was Südtirol in dieser Jahreszeit zu bieten hat: Spezialitäten und Produkte der Region, neu interpretiert, ihrer landestypischen, alpinen Üppigkeit beraubt und mit viel Liebe angerichtet. Abgesehen vom eher noch traditionell italienisch gehaltenen
Mise-en-Bouche-Teller, fällt bei den Menüs des Hotels positiv auf, dass hier noch
gekocht wird. Für mich bedeutet das, dass nicht nur - wie sonst oft in Italien - regionale Produkte wie Käse, Schinken- oder Wurstwaren, eingelegtes Gemüse und Oliven auf einem Teller angerichtet und dann als Antipasto "verkauft" werden, sondern dass man aus den Produkten ein Gericht entwickelt - für die Vorspeise, den Hauptgang oder auch das Dessert. Darin unterscheidet sich die (gehobene) Küche Südtirols ganz wesentlich von den anderen italienischen Regionalküchen, die ja für ihre Einfachheit bekannt sind - von Ausnahmen natürlich abgesehen.
Vier kleine "Grüsse aus der Küche", unter denen die Hotelgäste an diesem Abend von einem Buffet wählen durften, vereinigten sich für uns auf einem Teller: Roastbeef auf marinierten Pfifferlingen, Burrata auf Tomatengemüse, Lammschinken auf mariniertem Kohlgemüse und zu einer Rose gewickelten Parmaschinken mit hauchdünnen Melonenstreifen.
Das Angebot, kurz aus der Küche zu schlüpfen und sich am Salatbuffet zu bedienen, schlugen wir aus - angesichts der Dinge, die da noch kommen sollten. So ging es weiter mit einem erfrischenden Saft aus Trauben aus dem hauseigenenen Garten, gefolgt von einem Schaumsüppchen von der Pastinake mit würzigem Tatar von Rindern aus dem Pustertal.
Zu den Highlights des Abends gehörte für mich unbedingt der gebackene Polentaknödel auf einer Artischockencrème mit Taggiasche-Oliven, meiner bevorzugten Olivensorte, und Salami "Napoli". Nicht nur in seiner Präsentation überzeugte dieser Gang, auch die feinen Aromen - ich meinte, einen Hauch von Curry zu schmecken - waren auf das Harmonischste aufeinander abgestimmt, ohne dass sich eine Zutat zu sehr in den Vordergrund drängte.
Üppiger ging es dann bei der zweiten warmen Vorspeise zu; und jetzt waren wir kulinarisch endgültig in Südtirol gelandet: Mit frischen Pfifferlingen gefüllte Kartoffelmaultaschen auf flüssigem Spinat.
Mit einem Pastagang, bestehend aus dem eingespielten Team Gorgonzola, Birne, Rauke und Walnüssen, füllten wir unsere Kohlehydratspeicher noch zusätzlich auf.
Spätestens jetzt war uns klar, dass wir am folgenden Tag nicht faulenzen, sondern die Südtiroler Wanderwege unsicher machen mussten. Denn wir waren noch nicht einmal bei den Hauptgerichten angekommen, die drohend vor uns angerichtet wurden. Falls uns etwas besonders gut schmecke, informierte uns Joachim Nischler, dürften wir ruhig noch einmal den gleichen Gang verlangen. Natürlich schmeckte uns alles besonders gut, aber wir kämpften schon mit den angebotenen Portionen und mussten dankend ablehnen.
Gnadenlos flatterte danach ein Stubenküken herbei, gebettet auf Erbsenpüree, getrockneten Tomaten, Pinienkernen und Karotten.
Den Fischgang - gebratenes Rotbarbenfilet mit Salsa Verde auf Provencalgemüse und Thymianfocaccia ließen wir aus - ich mag ja keinen Fisch - und wandten uns statt dessen einem bodenständigen Küchenklassiker zu: Zwiebelrostbraten.
Immer wieder schielte ich während des Essens auf die feinen Desserts, die Pâttisier Josef Martin in seinem kleinen Reich in der Nähe unseres Tisches zubereitete. Nun war es soweit, und ich hoffte inständig, dass sich mein Magen dafür noch ein Eckchen ausgespart hatte.
Auch bei den
Dolci hatte ich einen Favoriten: Das Meraner Kurtrauben-Gratin mit Quittensorbet und Strudelteigstangen, für das ich mich als erstes entschied - wohlwissend, dass sich langsam leichte Erschöpfungssymptome einstellten.
Jetzt aber nur nicht schwächeln, dachte ich, und wagte mich danach noch an Dessert Nr. 2, ein Schokoküchlein mit Crème-Brûlée-Kern, Tonkabohnenespuma und Fruchtsorbet.
Dazu gab es noch einige hausgemachte Pralinen und raffiniert gefüllte Schokoladentrüffel, für die ich allerdings kaum noch Platz fand.
Noch kurz ein Wort zu den Weinen. Begleitet wurde unser Menü von einer Auswahl von Weinen Südtirols. Insgesamt waren es vier Weißweine, zwei Rotweine und zwei Süßweine.
Grüner Veltliner, Kerner, Manni Nössing, 2010
Voglar, Sauvignon, Peter Dipoli, 2010
Falkenstein, Weißburgunder, 2012
Löwengang, Chardonnay, Alois Lageder, 2009
Blauburgunder, Franz Haas, 2010
Lagrein, Elena Walch, 2008
Schloss Juval, Unterortl, Riesling Spätlese, 2009
Le Petit Manicor, Graf Enzenberg, 2009
Wir unternahmen anschließend einen Spaziergang durch die zu später Stunde leere Ortschaft Naturns und gönnten uns danach noch einen Verdauungsschnaps an der Hotelbar...
Besonders stolz zeigte sich Joachim Nischler von Beginn an darüber, dass er nach den letzten Umbauten im Hotel und in der Küche nun den höchsten Hygienestandard erfülle. Nur deshalb dürften dort einzelne Gäste auch direkt bewirtet werden - was in anderen Restaurants nicht selbstverständlich ist. Die Küche des Hotels Lindenhof sei zertifiziert nach den Regeln für die dritte und höchste Stufe des HACCP-Konzeptes (Hazard Analysis and Critical Control Points-Konzept).
Der Chef's Table kann von Hotelgästen für zwei bis vier Personen für die Tage Dienstag, Mittwoch und Freitag im Voraus gebucht werden. Der Preis pro Person beträgt zuzüglich zur 3/4 DolceVita-Pension 30 Euro ohne Weindegustation und 60 Euro mit Weindegustation (so wie auch für unseren Abend am Chef's Table).
Dolce Vita Hotel Lindenhof
Kirchweg 2
I-39025 Naturns (bei Meran)
Tel.: 0039 0473 666242
Fax: 0039 0473 668298
E-Mail: info@lindenhof.it
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Ariane