Ferragosto - der wohl höchste italienische Feiertag!
Wenn am 15. August die katholische Welt Mariä Himmelfahrt zelebriert und der Papst in Castelgandolfo die Sommerfrische genießt, feiern die Italiener vor allem den Höhepunkt ihres Urlaubs. Danach geht es nämlich nur noch bergab - rein ich die "kalte" Jahreszeit, regelmäßig begleitet von der "Depressione del rientro", der "Zurück-in-die-Stadt-und-in-das-Arbeitsleben-Depression", die man dann mit den immer wieder gleichen pseudopsychologischen Tipps aus den Tageszeitungen und Magazinen zu bekämpfen versucht.
Die Markstände sind bis auf ein paar wenige zusammengeschrumpft, und mein Metzger hat den Laden für zwei Wochen dichtgemacht - heute bleibt überhaupt fast alles bis auf die Restaurants geschlossen! Trotzdem ist die Situation nicht mehr ganz so dramatisch wie noch vor einigen Jahren, wo ältere Leute, die zurückgelassen wurden oder nicht mit in die Ferien fahren wollten, kurz vor dem Verhungern waren, weil viele Läden im August geschlossen blieben.
Wie in jedem Jahr ist es stiller an den Tagen um den Ferragosto herum, und auch der Palazzo, in dem wir wohnen, hat sich geleert. Der Barone verbringt seinen Sommerurlaub oft mit seiner Familie in Costa Rica, wo seine Frau ihre Mutter besucht, und seine ältere Cousine, die Baronessa, geniesst irgendwo kühleres Klima. Auch die wenigen anderen Nachbarn sind vor der Augusthitze aus der Stadt geflüchtet.
Wir sind übriggeblieben, mitleidigt belächelt, da wir uns jetzt an den heißesten Tagen des Jahres keinen Urlaub leisten, aber immer noch unbelehrbar, dass man den Sommer mit Urlaub im September oder Oktober verlängern kann.
Andererseits sind wir für die Eigentümer - das Haus gehört einer römischen Adelsfamilie - jetzt auch die "Hüter" ihres Palazzo. Besonders die nach frischem Nass dürstenden Pflanzen des kleinen, von Häusermauern umschlossenen Gartens sollen wir ab und mit etwas Wasser versorgen. Nun sind sogar am Montag nach vielen Wochen wieder einige Regentropfen, von Donnergrollen begleitet, zu Boden gefallen. Aber eine nächste Hitzewelle steht uns schon bevor.
Das Haus, in dem ich nun seit 18 Jahren lebe, hat mich von Anfang an fasziniert.
Erbaut, noch bevor Columbus Amerika entdeckt hat, gehört es zu den ältesten Palazzi in unserem Viertel in der römischen Altstadt. Das italienische Wort "Palazzo" bezeichnet dabei nicht ausschließlich einen "Palast",
sondern schlicht ein Wohnhaus - das kann ein Prunkbau, aber auch nur eine
Mietskaserne sein. Natürlich gibt es prächtigere historische Palazzi als das Haus, in dem wir wohnen - mit imposanteren Treppenhäusern und prunkvolleren Innenräumen. Rom ist voll davon! Die unscheinbare, ja fast ein wenig heruntergekommene Backsteinfassade zieht kaum Blicke auf sich, auch weil das mächtige, doppelflügelige, hölzerne Portal seit ein paar Jahren geschlossen bleibt. Sobald aber ein Besucher durch einen tonnengewölbten Korridor in den Cortile, den Innenhof, gelangt, empfängt ihn eine geschichtsträchtige, ungewöhnliche und urrömische Welt.
Erbaut wurde dieser Palazzo in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Ein aus Nikosia stammender Kardinal, darüber hinaus Leibarzt des kränklichen Papstes Innozenz VIII, der von 1584-1492 auf dem Papstthron saß, ließ dieses Haus errichten. Nach dem Tod des Papstes wurde dieser Kardinal privater Sekretär des berühmt-berüchtigten Borgia-Papstes Alexander VI. Noch heute ist der Palazzo nach diesem Kirchenmann benannt.
Auch eine Kapelle gab es einst in diesem Haus. Heute ist der ehemalige Sitz dieser Kapelle zwar nur noch ein als Wohnzimmer genutzter Raum, aber die Fresken, die sich unterhalb der Decke über die Wände ziehen, erzählen von Begegnungen des Jesuitengründers Ignatius von Loyola (1491-1556) mit dem Heiligen San Filippo Neri (1515-1595) an dieser Stelle. Dem "Humoristischen Heiligen" Filippo Neri widmete Goethe in seiner "Italienischen Reise" übrigens ein ganzes Kapitel.
Durch das ganze Haus windet sich noch eine enge, steinerne Wendeltreppe, die in jeder Wohnung zwar sichtbar, aber zugemauert ist, sonst könnte man seine Nachbarn auch auf diesem Weg einen Besuch abstatten.
Unzählige antike Fragmente wie Inschriften, Teile von römischen Marmor-Sarkophagen und Reliefs sind in den pompeianisch-roten Verputz des Treppenhauses eingemauert. Einige der rund zweitausend Jahre alten Antiken, wie etwa die Leda mit dem Schwan, sind von hervorragender künstlerischer Qualität, wie mir der ehemalige Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts von Rom versicherte.
Giorgio Vasari, der große Künstlerbiograph des 16.
Jahrhunderts, beschreibt in seinem Hauptwerk über die "Lebensläufe
berühmter Maler, Bildhauer und Architekten" - Pflichtlektüre eines jeden
Studenten der Kunstgeschichte - einige Arbeiten, die im Innenhof und
im Garten von dem florentinischen Künstler Pierino del Vaga ausgeführt
wurden.
Der Venusbrunnen stammt aus einer späteren Epoche, birgt
aber auch eine Besonderheit: Das Wasser, dessen Plätschern mich oft akustisch begleitet, kommt aus einer Quelle in den rund dreißig Kilometer entfernten Sabiner Bergen und wird hergeleitet über den immer noch aktiven und
regelmäßig restaurierten antiken Aquädukt "
Aqua Virgo". Auch der Trevibrunnen und der Vierflüsse-Brunnen auf der Piazza Navona werden über diesen Aquädukt mit Wasser versorgt.
Palmen, Orangenbäume, Glyzinen und Efeuranken bilden einen kleinen Dschungel inmitten der Mauern. Die mächtige Palme, die den Mittelpunkt dieses Gartens bildet, wurde leider Opfer eines Käfers aus Südostasien
, dem roten Palmrüssler (Rhynchophorus ferrugineus). Nur noch der dicke, efeuumwundene Stamm ist von dem schönen Baum übriggeblieben, dessen prächtige Krone auf einem Foto in diesem Post aus dem vergangenen Winter zu sehen ist - und zwar schneebedeckt!
Schon oft diente der Palazzo als Filmkulisse. Zuletzt erst drehte 2009 der amerikanische Regisseur Bob Marshal hier einige Szenen für den Musicalfilm "
Nine" - mit Nicole Kidman, Daniel Day-Lewis, Sofia Loren und Marion Cottilard in den Hauptrollen. Besonders von Marion Cottilard schwärmte der Barone, in dessen Räumen sich die
schöne Französin für eine Aufnahme auf seinem Sofa räkeln durfte. Das Treppenhaus war während der Drehtage vollgepackt mit armdicken Kabeln, Computermonitoren, Kameras sowie Dutzenden von starken Scheinwerfen und damit praktisch unbegehbar.
Im Moment geniesse ich die Stille des Augusts und bin doch froh, wenn in wenigen Tagen wieder Leben einkehrt. Während ich diese Fotos aufnahm, entdeckte ich wieder neue Details im Treppenhaus, dessen steile Stufen ich oft verfluche, da ich meine meine täglichen Einkäufe bis in das oberste Stockwerk hinaufschleppen muß.
Trotz einer Jahrhunderte alten Vergangenheit strahlt dieses Haus nichts Düsteres, sondern nur heitere Zeitlosigkeit aus, die mich hier gerne wohnen läßt.
Buon Ferragosto!
♥♥♥
Un abbraccio
Ariane