Wenn es eine Hit-Liste der witzigsten Restaurantnamen gäbe, stünde diese Osteria an zweiter Stelle: "Flavio al Velavevodetto" (Flavio im "Ich hab's Euch gesagt"). Nebenbei bemerkt: Für mich steht allerdings immer noch unangefochten auf Platz Eins "Giulio passami l'olio" (Giulio, reich' mir das Öl herüber). So heißt eine andere römische Kneipe.
In solchen Bezeichnungen steckt viel vom römischen Volkscharakter, der ziemlich direkt und durchaus auch etwas derb sein kann.
Aber wie kam es nun zu diesem Namen?
"Eines Tages eröffne ich ein Restaurant!" so die Worte des ehemaligen Besitzers, eines Versicherungsvertreters, gegenüber seinen Freunden. Diese hatten auf seine Ankündigung hin stets nur gelacht und gesagt, das würde wohl nie geschehen. Doch der Mann verwirklichte seinen Traum und streckte seinen Zweiflern im Geiste schon mit dem von ihm gewählten Restaurantnamen die Zunge heraus: "Ich hab's Euch gesagt!"
Mittlerweile hat die Osteria einen neuen Besitzer, den ehemaligen Koch namens Flavio, und da die Römer ein abergläubiges Völkchen sind, änderte er auch nicht den Namen des Lokals. Das bringe nämlich Unglück, so erzählte man dort. Nur seinen eigenen hat der Koch dann doch noch dazugesetzt.
Direkt am Testaccio-Hügel liegt diese Osteria. Dieser mit Bäumen und Sträuchern bewachsene Hügel, der diesem Stadtteil seinen Namen gab, ist nichts anderes als ein antikes Sondermüll-Lager. Tausende von Scherben - testae - haben sich in Hunderten von Jahren zu einem Hügel aufgehäuft. Unweit lag einst der Hafen der Stadt, hier kamen in der Antike die Waren wie Getreide oder Olivenöl aus den südlichen Provinzen an. Natürlich gingen ab und an die Gefäße, die Krüge und Amphoren, mit denen diese Waren transportiert wurden, kaputt - und landeten schließlich alle auf dem immer mehr in die Höhe und Breite wachsenden Hügel. Angeblich sollen hier die Überreste von ungefähr 53 Millionen Amphoren liegen.
In zwei der Gaststuben, die zum Teil in den Tuffstein hineingebaut wurden, gewähren große Glasfenster direkte Einblicke ins Innere des antiken Scherbenhaufens. Zwischen all den Jahrtausende alten Schichten liegen noch immer Teile der antiken Amphoren.
Die Speisekarte dieser Osteria mit dem so deftig-barocken Namen liest sich typisch römisch. Hier findet man jene Spezialitäten, die dem Besucher durchaus auch etwas Mut abverlangen und die mit Sicherheit in keinem der schicken "In-Italiener" nördlich der Alpen zu finden sind: Neben Trippa (Kutteln) gibt es auch Coratella: Das sind Innereien wie Lunge, Teile der Speiseröhre, Herz und Milz von Lamm, Kaninchen oder auch Geflügel, die entweder frittiert oder auch langsam mit Zwiebeln geschmort werden.
Die römische Küche kennt viele solcher einfachen Gerichte, die nicht aus den edlen Teilen der Schlachttiere zubereitet werden. Und hier, im Testaccio-Viertel, sind diese Gerichte auch einst entstanden. Dort befand sich der Schlachthof, in dessen Hallen - heute unter dem Namen "Macro" - zeitgenössische Kunst in wechselnden Kunstausstellungen präsentiert wird. Die Schlachthausarbeiter durften früher zusätzlich zu ihrem Lohn die unverkäuflichen Teile der Tiere wie Innereien mit nach Hause nehmen, die nie auf den Tischen des römischen Adels, der Geistlichkeit oder des Bürgertums landen würden. Den Quinto Quarto - das fünfte Viertel - nannte man das. Die Frauen der Arbeiter bereiteten dann mit viel Phantasie jene Gerichte zu, die heute als die wahren Vertreter der römischen Küche gelten und die man heutzutage auch in den gehobenen Restaurants der Stadt für zum Teil teures Geld auf den Speisekarten finden kann.
Bei Flavio bekommt der Gast einen schönen Einblick in diese authentische römische Küche. Natürlich sind schon bei den Primi, den Pastagerichten, die allseits bekannten Klassiker vertreten: alla Matriciana, alla Gricia, alla Carbonara...
Fritto Misto, in Teig ausgebackenes Gemüse, Polpette al sugo, auch deftige Fleischgerichte wie Spanferkelkeule, Ochsenschwanz, Steaks und Involtini (Rouladen) dürfen nicht auf der Karte fehlen. Die Dolci sind wie gewohnt schlicht: Schokoladenkuchen, Crostata di Ricotta (Ricottakuchen), Apfeltarte oder Tiramisu.
Das Weinangebot ist ordentlich, allerdings gibt es keine Weinkarte, sondern man bittet den Gast, sich seinen Wein aus einem nach Regionen und Weinsorte geordneten Regal auszusuchen.
Für alle, die jetzt vom Schlemmen in der Ewigen Stadt, dort, wo sie am römischsten ist, träumen, hier ein ebenso schlichtes wie authentisches Pastagericht - einfach, schnörkellos und gut!
Spaghetti cacio e pepe
(für 2 Personen)
- 250 g Spaghetti
- 110 g Pecorino Romano, der mit der schwarzen Rinde, frisch gerieben
- grobes Salz für das Nudelwasser
- und ganz viel frisch gemahlener schwarzer Pfeffer
Für dieses klassische Pastagericht nehme ich, anders als bei Flavio, Spaghetti und keine Tonnarelli. Die Verwendung von Tonnarelli für dieses Gericht, so konnte ich lesen, sei eine neumodische Erfindung, denn sie eigneten sich auf Grund ihrer eher allzu porösen Konsistenz nicht für diesen "Sugo", da sie ihn zu sehr aufsaugten.
Man sieht, Italiener können selbst aus der Zubereitung von Pastagerichten eine Wissenschaft machen und nehmen es sehr genau mit ihrem Allerheiligsten!
Also gibt es bei mir ganz einfach Spaghetti!
Diese werden in ordentlich gesalzenem Wasser al dente gekocht und danach tropfnass in eine Schüssel gegeben. Die Pasta darf auf keinen Fall zu abgetropft sein, zusätzlich noch das Nudelkochwasser aufheben! Unter die heiße Pasta hebt man nun den geriebenen Pecorino und etwas Pfeffer, und zwar so lange, bis eine Cremina dabei entsteht. Dazu braucht man etwas Geduld und Fingerspitzengefühl. Eventuell muss man noch etwas vom heißen Nudelwasser hinzufügen oder auch noch von dem Käse. Es wird behauptet, niemandem gelinge dieses Gericht beim ersten Mal perfekt...
Zum Schluss nochmals frisch geriebenen schwarzen Pfeffer über die Pasta streuen - und damit nur nicht geizen!
Flavio al Velavevodetto
Osteria Tradizionale
Via di Monte Testaccio 97
Rom
Tel.: 065744194
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♥♥♥
Un abbraccio
Ariane