Die urige Osteria "La Campanara" vereinigt in sich alle positiven Eigenschaften, die ein perfektes Slow-Food-Restaurant ausmachen: Die Grundprodukte stammen aus kleinen Höfen der Umgebung, das Gemüse aus dem eigenen Gärtchen, was zu saisonaler Küche zwingt. Traditionelle Gericht, deren Rezepte bislang nur mündlich überliefert worden waren, stehen im Mittelpunkt, und damit eng verbunden ist das Bewahren von Spezialitäten der Region, die in die Vergessenheit abzugleiten drohten.
Direkt im Herzen des alten Borgo von Galeata, einer kleinen Gemeinde in der südöstlichen Emilia Romagna, liegt die Osteria. Hier ist Signora Alessandra Herrin über die Töpfe, während kein Gericht die kleine Küche im Erdgeschoss des ehemaligen Pfarrhauses verlässt, ohne dass ihr Mann Roberto dieses vorgekostet und abgesegnet hat - was ihm sichtlich kein Opfer abverlangt, wenn man sich die Statur des sympathischen Wirts betrachtet.
Unermüdlich sammelte Signora Alessandra in den vergangenen Jahren Rezepte, was zu teils kuriosen Begegnungen führte: "Wenn ich zu einem bestimmten Rezept zehn Leute befragt hatte, so wollte mir mindestens eine Person das Rezept nicht verraten, als sei es ein Familiengeheimnis. Und von den übrigen bekam ich dann stets unterschiedliche Versionen aufgetischt." Genugtuung aber ist es für sie, wenn gerade ältere Gäste und Bewohner des Ortes nach dem Genuss eines ihrer Gerichte ins Schwärmen geraten, weil Düfte und Aromen die Gäste in nicht nur kulinarischen Erinnerungen schwelgen lassen.
Ist die Küche der "Campanara" nun eher der Toskana oder doch der der Emilia Romagna zuzuschreiben? Eindeutig lässt sich das nicht beantworten. Einst gehörte die kleine Gemeinde zum nordöstlichsten Teil der Toskana, hätte es da nicht einen gewissen
Duce gegeben, der meinte, der Tiber müsse unbedingt "seiner" Region, der Emilia Romagna, entspringen. So verlegte er deren Grenze kurzerhand nach Süden, schnitt damit einen Landstrich der Toskana ab, und wenn Mussolini nun in die Tiberquelle spuckte, damit ein Teil seiner Person Richtung Rom fließen konnte, so tat er das nun nicht mehr in der Toskana. Die Tiberquelle lag dank seiner "Korrekturen" nun in der Emilia Romagna. Diktatorensymbolik eben!
Aber zurück zu erfreulicheren Dingen wie der einfachen, doch ausgezeichneten Küche von Signora Alessandra. Unbekanntes gab es zu entdecken.
Zu den Antipasti in der kleine Osteria gehört ein spezieller Weichkäse, den es ohne eine gewisse Signora Tiziana schon lange nicht mehr gäbe: Raviggiolo. Jeden Tag steht die Milchbäuerin, von der die Osteria eine Auswahl ihres Käses bezieht, gegen fünf Uhr auf, um ihre selbstgemachten Spezialitäten auszufahren, bevor sie auf ihren Hof zurückkehrt, um sich dort mit nur wenigen Mitarbeitern um die Tiere, aber auch die Produktion zu kümmern. Ihre selbst hergestellte Ricotta gehört übrigens zu der besten, die ich je gekostet habe!
Vor ihrer Schwiegermutter, die den Käse seinerzeit nur für die Familie hergestellt hatte, hat sich Signora Tiziana schon vor vielen Jahren in die Geheimnisse der Raviggiolo-Produktion einweisen lassen.
Der feine Weichkäse, bei dessen Herstellung es nach der Zugabe von Lab nicht zu einem vollständigem Käsebruch kommt, da die Milch nicht zu hoch erhitzt wird, ist von unvergleichlich milchigem Aroma. Um eventuelle Risiken zu mindern, die der Genuss von Rohmilchkäse für Ältere, Schwangere oder Kranke ja mit sich bringen kann, bedeckt man den Raviggiolo mit Farnblättern, die angeblich antibakterielle Eigenschaften besitzen.
In den gemütlichen Gasträumen der Osteria, die im ersten Stock des ehemaligen Pfarrhauses liegen, erwarten uns nun die für diese Region typischen, einfachen und bäuerlichen Gerichte, und den Anfang macht, wie könnte es anders sein, nun diese seltene Käsespezialität - natürlich mit Farnblatt!
Bevor wir neugierig zugriffen, zeigte uns Signor Roberto, wie man Raviggiolo stilecht verspeist: Auf einem Stück Brot, mit etwas Olivenöl und frisch gemahlenem Pfeffer.
Wunderbare
Polpettini - Hackfleisch-Bällchen -, herzhafte Salami und
Piadina fritta romagnola - frittierte Teigstangen - leisteten der Käsespezialität ebenbürtige Gesellschaft.
Das Rezept für diese Hackfleischbällchen, für die jeder Haushalt noch immer sein eigenes Rezept hat, wird auch in der "Campanara" nicht verraten und geht auf eine Großmutter namens Gina "
la nonna Gina" zurück. Sicher würde es die
nonna freuen zu hören, dass ausgerechnet mit diesen
"Polpette a scottadita", was so viel heißt wie: "Bällchen, an denen man sich die Finger verbrennt", die Osteria auf der EXPO 2015 in Mailand vertreten sein wird.
Gänzlich unbekannt waren mir auch die "
Tortelli sulla lastra con la giardiniera sott'olio fatta da noi". Aber diese barocke Bezeichnung sollte ich an dieser Stelle wohl erst einmal übersetzen. Was hier
Tortelli genannt wird, sind dünn ausgewälzte Teigplatten, wie man sie von der
Piadina, jenem dünnen Fladenbrot der Emilia Romagna kennt. Normalerweise kann ich der
Piadina nicht viel abgewinnen, hat sie für mich einen pappdeckelartigen Geschmack - und sieht auch so aus. Da nutzt oft auch nicht der mehr oder minder phantasievolle Belag. Hier aber werden die
Tortelli auf einer Steinplatte (
sulla lastra) gebraten; gefüllt sind sie mit einer Mischung aus gekochten Kartoffeln und Kürbis. Ein weiteres, typisches Arme-Leute-Gericht, das man meist als stärkende Zwischenmahlzeit zu sich nahm. Die "
giardiniera" dagegen ist das selbst eingelegte Gemüse aus dem eigenen Garten, das man zu den gefüllten Teigfladen isst.
Es folgten zwei
Primi Piatti, eine dicke Bohnensuppe mit Pancetta und Pastabröseln, eben jenen unregelmäßigen Pastastückchen, die oft bei Nudelmachen anfallen. Jeder, der schon einmal selbst Pasta gemacht hat, kennt das "Problem" ja. Wie man sieht, auch hier echte
Cucina povera, bei der alles aus der Küche verwendet wird.
Wenn wir gerade bei der Pasta sind, ein Pastagericht durfte ja nicht fehlen, und während mein Mann sich für Tagliatelle al ragù entschied, wählte ich die vegetarische Version mit Artischocken - ein Gedicht!
Leider blieb bei so viel Schlemmerei kein Platz mehr für ein
Secondo, ein Hauptgericht. Aber etwas Süßes durfte es dann doch noch sein, und ich habe es nicht bereut.
Die "Crema della Lilla", eine Art Zitronencrème mit selbstmachter Kirschkonfitüre, war ein Gedicht, und da hätte ich auch zu einem zweiten Gläschen nicht Nein gesagt. Das Stück
Ciambellone, ein Gebäck, das nach alter Tradition in der Trattoria mit Schmalz zubereitet wird, unglaublich fluffig. Und so gut mir dieser Schoko-Minz-Flan, der
Ramerone, auch schmeckte, das Rezept selbst wird man mir wohl niemals verraten. Denn um dieses streng bewahrte Geheimnis seiner Zubereitung musste auch Signora Alessandra hart kämpfen, ums es schließlich einer weiteren alten
Nonna zu entlocken.
Osteria La Campanara
Via pianetto borgo, 24/a
47010 Galeata (FC)
tel. 0543.981561
♥♥♥
Un abbraccio
Ariane